Ein Einreiseverbot stellt keinen angemessenen Grund dar, um die Ablehnung eines Antrages auf Familienzusammenführung zu rechtfertigen, wenn dieser eingereicht wurde, ohne das die betroffene Person zwischenzeitlich das Land verlassen hätte.

Im vergangenen Jahr hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die Frist eines Einreiseverbotes erst zu laufen beginnt, wenn die betroffene Person das Gebiet, aus welchem sie ausgewiesen wird, effektiv verlassen hat (Ouhrami gegen Niederlande) und dass ein Antrag auf Familienzusammenführungen unter Verweis auf ein bestehendes Einreiseverbot (unter der Bedingung, dass zuvor eine Prüfung des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen dem Antragsteller und dem Zusammenführenden durchgeführt wurde) abgelehnt werden kann (K.A. u.a. gegen Belgien).

Der Rat für Ausländerstreitsachen hat nun in mehreren Angelegenheiten (u.a. Entscheid Nr. 212.172 vom 9. November 2018) die Lehren aus diesen Urteilen gezogen und geschlussfolgert, dass, wenn eine Person, der zuvor ein Einreiseverbot auferlegt wurde - ohne zwischenzeitlich das Land verlassen zu haben - einen Antrag auf Familienzusammenführung einreicht, das Einreiseverbot keinen zulässigen Grund darstellt, um eine Ablehnung zu rechtfertigen.

Gängige Praxis des Ausländeramtes Regularisierungsanträge aus medizinischen Gründen (Art. 9ter) unter Bezug auf Informationen aus nicht öffentlichen Datenbanken abzulehnen, verletzt die formelle Begründungspflicht des Ausländeramtes.

Regularisierungsanträge aus medizinischen Gründen werden in der Regel zunächst durch einen Arzt des Ausländeramtes auf ihre Stichhaltigkeit geprüft. Um zu prüfen, ob eine erforderliche medizinische Behandlung im Heimatland verfügbar ist, stützen diese sich meistens auf Informationen einer Datenbank (MedCOI), welche nicht öffentlich zugänglich ist. Schlussfolgert der Arzt aufgrund dieser Informationen, dass die Behandlung im Heimatland verfügbar ist, lehnt das Ausländeramt in der Regel unter Verweis auf das Gutachten seines Arztes den Regularisierungsantrag ab.

Jede Verwaltungsentscheidung muss jedoch die Gründe aufführen, welche zu dieser Entscheidung geführt haben. Es ist erlaubt unter Verweis auf andere Unterlagen eine Entscheidung zu begründen, insofern der Antragsteller spätestens bei Übermittlung der Entscheidung Kenntnis dieser Unterlagen erhält.

Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Ausländeramt auf nicht öffentlich zugängliche Datenbanken bezieht, ohne den Antragsteller über deren Inhalt zu informieren, indem die Informationen aus dieser Datenbank zumindest teilweise widergegeben oder zusammengefasst werden.

Entsprechende Entscheidungen sind demnach nichtig und werden durch den Rat für Ausländerstreitsachen (Entscheid Nr. 211 356 vom 18. Oktober 2018) aufgehoben.

Palästinenser: Humanitäre Krise im Gazastreifen führt zu einer unfreiwilligen Aufgabe des UNRWA-Schutzes, welche die automatische Zuweisung des Flüchtlingsstatuts zur Folge hat.

Viele Palästinenser sind beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registriert.

Wenn der palästinensische Asylantragsteller verpflichtet war, das Schutzgebiet der UNRWA zu verlassen, endet der Schutz dieser Organisation und er erhält automatisch das Flüchtlingsstatut.

Hierfür müssen zwei Bedingungen erfüllt: Einerseits muss der Antragsteller sich persönlich in einer schweren Unsicherheitssituation befunden haben und andererseits darf das UNRWA nicht in der Lage gewesen sein, seinen Schutzauftrag korrekt wahrzunehmen.

Der Rat für Ausländerstreitsachen (Entscheid Nr. 207 948 vom 21. August 2018) ist der Ansicht, dass die „humanitäre Krise“ (seltene Öffnung der Grenzposten, Sicherheitssituation, …), welche in Gaza besteht, die unfreiwillige Aufgabe des UNRWA-Schutzes mit sich bringt und demnach die automatische Zuweisung des Flüchtlingsstatutes zur Folge haben muss.

Kurden : Verweigerung des türkischen Wehrdienstes kann Asylgrund sein

Aus zwei Gründen wollte der kurdische Asylantragsteller nicht seinen Wehrdienst in der Türkei leisten: Einerseits befürchtete er, in einer Konfliktzone eingesetzt zu werden, in welcher er gegen die kurdischen Rebellen vorgehen müsse. Andererseits brachte er allgemein seinen Widerstand gegen den Krieg im Süd-Osten der Türkei zum Ausdruck.

Der Rat für Ausländerstreitsachen (Entscheid Nr. 211 533 vom 25. Oktober 2018) ist der Ansicht, dass es sich hierbei um den Ausdruck von Gründen handelt, die einer Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen nahe kommen, so dass er als solcher durch die türkischen Behörden angesehen werden könnte.

Dem Antragsteller hätten dann – laut Berichten internationaler Beobachter – Strafverfolgung, schlechte Inhaftierungsbedingungen, Misshandlungen durch die Polizei und ein „bürgerlicher Tod“ gedroht.

Aufgrund dieser Umstände, seines ethnischen Profils (Kurde) und (geringer) politischer Aktivitäten wurde er als Flüchtling anerkannt.

Insofern nicht jede Wehrdienstverweigerung zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führt, müssen demnach die genauen Umstände analysiert werden.

Verfassungsgerichtshof: In Belgien geborene oder vor ihrem zwölften Lebensjahr angekommene Ausländer dürfen nur im Falle von Terrorismus oder schweren Straftaten ausgewiesen werden.

In seinem Entscheid 112/2019 vom 18. Juni 2019 stellt der Verfassungsgerichtshof fest, dass der Entzug des Aufenthaltsrechts oder die Ausweisung von Ausländern, die in Belgien geboren wurden oder vor ihrem zwölften Lebensjahr in Belgien angekommen sind und sich seitdem hauptsächlich und ordnungsgemäß in Belgien aufgehalten haben, nur dann mit höherem Recht vereinbar ist, wenn dies auf Fälle terroristischer Handlungen oder sehr schwerer Straftaten beschränkt wird.

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