Ein Einreiseverbot widersetzt sich nicht der Bearbeitung eines Antrags auf Familienzusammenführung mit einem sesshaften Belgier.

Bisher verweigerte das belgische Ausländeramt die Prüfung eines Antrags auf Familienzusammenführung, der durch ein Familienmitglied eines sesshaften Belgiers eingereicht wurde, wenn gegen dieses Familienmitglied ein Einreiseverbot verhängt wurde, unter einfachem Verweis auf dieses Einreiseverbot.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat diese Vorgehensweise für rechtswidrig erklärt.

Das Urteil K.A. u.a. gegen Belgien vom 8. Mai 2018 enthält wichtige Informationen für Drittstaatsangehörige, also Personen, die nicht die Nationalität eines EU-Mitgliedstaates haben, und die in Belgien einen Antrag auf Familienzusammenführung mit einem Belgier einreichen möchten, der nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, also nie im EU-Ausland gewohnt oder gearbeitet hat (sog. „sesshafte Belgier“).[1]

Wurde gegen diese Drittstaatsangehörigen ein Einreiseverbot[2] verhängt (ein solches kann im Prinzip nur aufgehoben oder ausgesetzt werden, wenn dies durch die betroffene Person vom Ausland her beantragt wird), so dürfen sie dennoch von Belgien aus einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen und das Ausländeramt ist verpflichtet diesen zum Grunde zu bearbeiten.

In diesem Zusammenhang muss das Ausländeramt prüfen, ob ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Belgier und dem Drittstaatsangehörigen besteht, das den Belgier im Fall einer Verweigerung eines Aufenthaltsrecht für sein Familienmitglied praktisch dazu zwingen würde, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, um das Familienleben fortführen zu können.

Vor allem das Alter des Belgiers spielt bei der Prüfung des Abhängigkeitsverhältnisses eine Rolle: So könnten Erwachsene grundsätzlich ein von ihren Familienmitgliedern unabhängiges Leben führen, während dies nicht für Minderjährige, insbesondere Kleinkinder gelte. Bei Erwachsenen müssen demnach außergewöhnliche Umstände vorliegen, um eine Abhängigkeit zu rechtfertigen.

Das Abhängigkeitsverhältnis darf jedoch nicht rein finanzieller Natur sein. Vielmehr muss dem Sorgerecht und der Frage, wer die rechtliche, finanzielle oder affektive Sorge für dieses Kind trägt, Rechnung getragen werden. Die Tatsache, dass das Kind bereits ein Elternteil in der EU hat, dass sich um es kümmern kann, hat nicht zwangsläufig zur Folge, dass keine Abhängigkeit bezüglich dem zweiten Elternteil, das noch kein Aufenthaltsrecht hat, und dem Kind besteht. Die Frage, mit wem das Kind zusammenlebt, kommt ebenfalls eine besondere Bedeutung zu. Auch muss geprüft werden, ob das Gleichgewicht des Kindes bei einer Trennung von seinem Elternteil gestört würde. Familiäre Bindungen alleine können demnach, bei Vorliegen eines Einreiseverbots, nicht die Gewährung eines Aufenthaltsrechts rechtfertigen.

Es ist unerheblich, ob das das Abhängigkeitsverhältnis entstanden ist, als das Einreiseverbot bereits bestand oder nicht.

Unerheblich ist auch, ob der Antrag auf Familienzusammenführung vor oder nach Verhängung des Einreiseverbots gestellt wurde.

Die Gründe, die zur Verhängung des Einreiseverbots geführt haben, spielen nur dann eine Rolle, wenn das Einreiseverbot unter Bezug auf die öffentliche Ordnung rechtfertigt wurde. In diesem Fall muss geprüft werden, ob die betroffene Person eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Nur dann, und nach Abwägung mit dem Kindeswohl und den Grundrechten, darf das Aufenthaltsrecht trotz Abhängigkeitsverhältnis abgelehnt werden.

Mit andren Worten darf das Ausländeramt einen Antrag auf Familienzusammenführung, den ein Drittstaatsangehöriger mit einem sesshaften Belgier einreicht, nicht mehr – wie bisher – durch den alleinigen Verweis auf das Bestehen eines Einreiseverbots verweigern, sondern muss die vorgenannte Abhängigkeitsprüfung durchführen.

Sind die Bedingungen für die Gewährung eines Aufenthaltsrechtes nicht erfüllt, hat der Belgische Staat die Verpflichtung – auch bei Bestehen eines Einreiseverbots – die im Rahmen des Antrages auf Familienzusammenführung erwähnten Aspekte des Familienlebens zu berücksichtigen, wenn er eine neue Ausweisung vornehmen möchte. Der Verweis auf das Einreiseverbot und die vorherige Rückkehrentscheidung reicht in diesem Fall nicht als Rechtfertigung für eine erneute Rückkehrentscheidung aus, es sei denn die Elemente in Bezug auf das Familienleben hätten schon früher geltend gemacht werden können.

Es ist demnach unter Umständen wichtig, das Ausländeramt über das Familienleben auf dem Laufenden zu halten.


[1] Bei innerbelgischen Situationen, wie der vorliegenden, findet das Unionsrecht nur begrenzt Anwendung, so dass die Situation von Belgiern, die Gebrauch von ihrem Recht auf Freizügigkeit gemacht haben, und von Bürgern anderer EU-Mitgliedstaaten, die in Belgien leben, ggf. anders bewertet werden kann/muss.

[2] Ein Einreiseverbot ist eine Entscheidung, die einem Ausländer während einer gewissen Dauer die Einreise nach Belgien und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union untersagt wird (s. Ausweisungen und Einreiseverbote).

 

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