Der Appellationshof Lüttich wurde mit der Frage befasst, ob ein Kind, das in Belgien geboren wurde und dessen Eltern das subsidiäre Schutzstatut erhalten haben, automatisch die belgische Nationalität erhält.
Artikel 10 des Gesetzbuches über die belgische Nationalität sieht vor, dass ein Kind, das in Belgien geboren wurde und staatenlos wäre, wenn es nicht die belgische Nationalität erhalten würde, die belgische Nationalität erhält, es sei denn es könnte eine andere Staatsangehörigkeit erhalten, indem entsprechende Verwaltungsschritte bei den Behörden des Landes/der Länder seiner Elternteile unternommen werden.
In seinem Entscheid vom 3. März 2022 geht der Hof zunächst auf zwei Verfahrensfragen ein:
- Für Anträge auf Erteilung der belgischen Nationalität aufgrund von Artikel 10 des Gesetzbuches über die belgische Nationalität ist gemäß Art. 572bis des Gerichtsgesetzbuches das Familiengericht zuständig.
- Die Berufungsfrist beträgt, wenn das Verfahren durch einseitigen Antrag eingereicht wurde, einen Monat ab der Notifizierung der Entscheidung des Familiengerichts (Art. 1031 GGB). Mit andren Worten: Die kurze 15-Tagesfrist, welche das Nationalitätsgesetzbuch im Falle von Staatsbürgerschaftserklärungen vorsieht, findet in diesem Fall keine Anwendung.
Anschließend erläutert der Hof, in welchen Fällen das subsidiäre Schutzstatut der Eltern eine „absolute Unmöglichkeit“ darstellt, um Kontakt mit den Behörden ihres Herkunftslandes/ihrer Herkunftsländer aufzunehmen, wenn dieser erforderlich wäre, um die Nationalität des betroffenen Herkunftslandes zu erhalten, und ihrem Kind allein deswegen die belgische Nationalität zuerkannt werden kann (a), und in welchen Fällen zusätzliche Belege vorgelegt werden müssen, um nachzuweisen, dass das Kind keine andere Nationalität erhalten könnte, damit es Belgier werden kann (b).
(a) Eine Kontaktaufnahme mit den Behörden des Landes/der Länder seiner Elternteile könne nicht verlangt werden, wenn diesen das subsidiäre Schutzstatut zuerkannt wurde, da ihnen die Vollstreckung einer Todesstrafe oder Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Herkunftsland drohe.
Dies gelte im Übrigen auch für Flüchtlinge.
(b) Wenn den Eltern hingegen das subsidiäre Schutzstatut zugesprochen wurde, da für sie im Rahmen eines bewaffneten Konflikts eine ernsthafte individuelle Bedrohung bestehe, sei eine solche Kontaktaufnahme nicht automatisch unmöglich.
Demnach wurden die Eltern des betroffenen Kindes aufgefordert, Kontakt mit den Behörden ihres Herkunftslandes (Syrien) aufzunehmen, um zu versuchen, dem Kind die Staatsangehötigkeit dieses Landes verleihen zu lassen.
Schlussfolgernd hält der Appellationshof Lüttich fest, dass „wenn die von den Eltern bei ihren diplomatischen oder konsularischen Vertretungen unternommenen Schritte nicht dazu geführt haben, dass ihrem Kind die [syrische] Staatsangehörigkeit verliehen wird, beweist dies, dass das Kind nicht durch einen Verwaltungsschritt eine andere Staatsangehörigkeit erhalten kann, was zur Folge haben wüirde, dass ihm die belgische Staatsangehörigkeit gemäß Artikel 10 zuerkannt wird.“