Der Beleg der Minderjährigkeit ist eine freie Ermessensentscheidung des Grundrichters.

Im Regelfall können nur Volljährige für die Begehung von Straftaten belangt werden. Wie stellt man jedoch fest, ob eine Person, die bestreitet volljährig zu sein, tatsächlich minderjährig ist oder nicht?

 Der Kassationshof hat entschieden, dass, insofern kein spezifischer Beweismodus durch das Gesetz vorgesehen ist, der Grundrichter nach freiem richterlichen Ermessen entscheidet, ob eine Person volljährig oder minderjährig ist. (Kass., 16/02/2022, P. 21.1153.F).

Ein Geisteskranker ist nicht schuldfähig und somit nicht strafbar, selbst wenn er diesen Zustand selbst herbeigeführt hat

Der Appellationshof Brüssel hat am 13. Januar 2021 eine Person für verschiedene Straftaten schuldig erklärt, obwohl er festgestellt hat, dass diese Person nicht schuldfähig im Sinne des Artikels 71 des Strafgesetzbuches war (Geisteskrankheit), weil die Geisteskrankheit durch den langandauernden Cannabis- und Alkoholkonsum durch diese Person selbst verursacht wurde.

Der Kassationshof hat dieses Urteil kassiert.  Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen der Geisteskrankheit, die aus eigenem Verschulden hervorgerufen wird und die, die dies nicht tut.

Der Kassationshof (vermutlich um verschiedene Alkoholexzesse als Entschuldigungsgrund gelten zu lassen) stellt jedoch wohl fest, dass die Geistesabwesenheit, um als Rechtfertigungsgrund angesehen zu werden, eine gewisse Dauer haben muss (Kass., 25/05/2021, P.21.0266.N).

Die mit einer Strafangelegenheit befasste Strafkammer kann die Untersuchungshaft des Beschuldigten aufheben, eine bedingte Freilassung anordnen oder durch eine elektronische Überwachung ersetzen

Wenn ein Beschuldigter zu diesem Zeitpunkt noch in Untersuchungshaft ist, entscheidet die Ratskammer oder gegebenenfalls die Anklagekammer, bei der Verfahrensregelung, ob die Untersuchungshaft aufrechterhalten wird, ob der Beschuldigte unter Bedingungen in Freiheit gelassen wird, oder ob die Untersuchungshaft durch eine elektronische Überwachung ersetzt wird.

Immer dann wenn die Ratskammer oder die Anklagekammer die Untersuchungshaft aufrechterhält, und der Beschuldigte, nachdem die Strafkammer des Gerichts befasst wurde noch in Untersuchungshaft verweilt, kann er zu jedem Zeitpunkt einen Antrag auf Freilassung (mit oder ohne Bedingungen) oder auch auf elektronische Überwachung stellen, auch wenn die letzte Modalität im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen ist. (Kass., 25/08/2021, P.21.1144.N).

Legalitätsprüfung eines Haftbefehls durch die Ratskammer: Eine prekäre Einschätzung und eine Begründung, die nicht auf alle Argumente der Verteidigung eingeht, reichen aus.

Wenn der Untersuchungsrichter einen Haftbefehl erlassen hat, prüft die Ratskammer diesen Haftbefehl spätestens innerhalb einer Frist von 5 Tagen, ab dem Zeitpunkt, an dem er dem Inhaftierten zugestellt wurde.

Im Rahmen dieser Prüfung kann die Verteidigung Gründe geltend machen, warum Beweise, die zum Haftbefehl führten, illegal sind und folglich nicht als Schuldindizien zu werten sind, die eine Verhaftung rechtfertigen.

Der Kassationshof entschied, dass die Ratskammer, die den Haftbefehl aufrecht erhält, nicht auf jedes kleinste Argument der Verteidigung eingehen muss, insofern sie die Verpflichtung hat innerhalb einer kurzen Frist zu urteilen und, wenn die Verteidigung die Illegalität der Beweise aufführt und in der Konsequenz das Vorhandensein von Schuldindizien bestreitet, dann reicht es, wenn die Ratskammer eine 1. Einschätzung bezüglich der Legalität der entsprechenden Beweismittel vornimmt. (Kass., 14/07/2021, P.21.0905.N).

Schulderklärung versus Aussetzung der Urteilsverkündung: welche Strafe ist milder?

Jeder Bürger hat im Strafrecht den Anspruch, dass seine Angelegenheit innerhalb einer vernünftigen Frist beurteilt wird. Wenn der Richter feststellt, dass diese vernünftige Frist am Tag seiner Entscheidung überschritten ist, muss er die Strafe, die er eigentlich ausgesprochen hätte, mindern. Dies kann so weit gehen, dass er eine einfache Schulderklärung ohne Strafe ausspricht.

In diesem Fall, wie in anderen Fällen auch, hat er ebenfalls die Möglichkeit die Aussetzung der Urteilsverkündung auszusprechen, was ebenfalls dazu führt, dass keine Strafe verkündet wird.

Der Kassationshof wurde nun befragt, sich darüber zu äußern, welche der beiden Strafen milder ist. Für das oberste Gericht ist die Aussetzung der Urteilsverkündung die strengere Strafe, insofern sie zurückgenommen werden kann, was bei einer einfachen Schulderklärung nicht möglich ist. (Kass., 13/01/2021, P.20.1203).

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