Missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung: Schaffung einer Einspruchsmöglichkeit gegen Entscheidung des Standesbeamten

Durch Entscheid Nr. 58/2020 vom 7. Mai 2020 hatte der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass die von einer Vaterschaftsanerkennung (oder in seltenen Fällen: Mutterschafstanerkennung) betroffenen Personen die Möglichkeit haben müssen, vor Gericht zu ziehen, wenn der Standesbeamte Anerkennung des Abstammungsverhältnisses nicht beurkunden möchte, da er davon ausgeht, dass ein Missbrauch vorliegt.

Zur Erinnerung: Von einer missbräuchlichen Anerkennung eines Abstammungsverhältnisses spricht man, wenn offensichtlich ist, dass die Anerkennung der Vaterschaft oder Mutterschaft nur auf einen aufenthaltsrechtlichen Vorteil abzielt.

Durch Gesetz vom 31. Juli 2020 über dringende Maßnahmen im Justizwesen, welches am 17. August 2020 in Kraft getreten ist, wurde nun eine Einspruchsmöglichkeit gegen solche Entscheidungen vorgesehen: Die Person, welche die Vaterschaftsanerkennung/Mutterschaftsanerkennung vornehmen wollte, die der Standesbeamte nicht beurkunden möchte, kann innerhalb eines Monats ab der Notifizierung vor das Familiengericht ziehen.

Bei seiner Entscheidung muss das Gericht die Interessen des Kindes vorrangig berücksichtigen.

EuGH: Antrag auf Familienzusammenführung eines minderjährigen Kindes darf nicht deswegen abgelehnt werden, weil dieses zwischenzeitlich volljährig geworden ist.

Der Zeitpunkt der Einreichung eines Antrages auf Familienzusammenführung ist ausschlaggebend, um zu bestimmen, ob es sich um den Antrag auf Einreise und Aufenthalt eines minderjährigen Kindes oder einer volljährigen Person handelt.

Wird ein Kind, das bei Antragstellung minderjährig war, im Laufe des Verfahrens volljährig, hat dies keine Auswirkungen auf die weitere Bearbeitung seines Antrages auf Familienzusammenführung: Der Antrag auf Familienzusammenführung muss durch die Behörden (Ausländeramt) weiterhin als Antrag eines minderjährigen Kindes angesehen und nach den entsprechenden Regeln bearbeitet werden.

Nur so könne sichergestellt werden, dass der Erfolg eines Antrages auf Familienzusammenführung eines minderjährigen Kindes nicht vom Verhalten der Behörden, bzw. der Verfahrensdauer abhänge.

Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 2. Juli 2020 (Rs. C-133/19, C-136/19 und C-137/19) entschieden.

Im Falle einer Ablehnung des Antrages auf Familienzusammenführung eines minderjährigen Kindes bestehe außerdem das Recht, diese Entscheidung vor Gericht (Rat für Ausländerstreitsachen) in Frage zu stellen, selbst wenn die betroffene Person zwischenzeitlich volljährig geworden sei.

Das Gerichtsverfahren müsse zudem fortgeführt werden, wenn der Antragsteller im Laufe des Gerichtsverfahrens volljährig wird.

Sollte es zu einer Nichtigkeitserklärung (Annullierung) der Ablehnungsentscheidung des Ausländeramtes durch das Gericht kommen, müsse der Antrag nämlich weiterhin wie der Antrag eines Minderjährigen bearbeitet werden, auch wenn der Antragsteller zwischenzeitlich volljährig ist. Mit andren Worten: Der ursprünglich beantragte Aufenthalt (als minderjähriges Familienmitglied) könne immer noch gewährt werden.

Das belgische Ausländeramt und der Rat für Ausländerstreitsachen, welche dies bisher anders sahen, werden ihre bisherige Vorgehensweise anpassen müssen.

Eintreibung der Sozialbeiträge, die durch die Gesellschaften zu zahlen sind, durch die Sozialversicherungskassen, illegal?

Verschiedene Gesellschaften müssen einen Beitrag an die Selbstständigenkasse zahlen.  Hierbei handelt es sich um eine Steuer.

Das Gesetz sieht vor, dass dieser Beitrag durch die Selbstständigenkasse eingetrieben werden darf.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob dieses Gesetz verfassungswidrig ist, insofern Steuern normalerweise nur durch Staatsbeamte eingetrieben werden dürfen, die vorher einen Eid abgelegt haben und Bürgschaften gestellt haben, was nicht der Fall der Sozialversicherungskassen ist.

Der Kassationshof hat den Verfassungsgerichtshof befragt, ob unter diesen Umständen, das Gesetz, das den Sozialversicherungskassen erlaubt die Steuer, die durch die Gesellschaften zu zahlen ist, einzutreiben, nicht verfassungswidrig ist.

Die Antwort des Verfassungsgerichtshofes steht noch aus (Kass., 3/02/2020, S.16.0059.F).

Beistand eines Anwalts im Rahmen der Vernehmungen: Der Kassationshof schwächt die Rechte des Beschuldigten.

Grundsätzlich hat ein Beschuldigter in Belgien das Recht, wenn er von Polizisten vernommen wird, sich durch einen Rechtsanwalt begleiten zu lassen.

Wenn dieses Recht missachtet wird, darf das Gericht eine Verurteilung des Beschuldigten eigentlich nicht auf die Aussagen fußen, die ein Beschuldigter gemacht hat, ohne dass er durch einen Rechtsanwalt begleitet wurde.

Diese Position wurde jetzt durch den Kassationshof, in dem dieser sich auf die neueste Rechtsprechung des Europäischen Menschengerichtshofs basiert, gelockert.

Es muss nun von Mal zu Mal geprüft werden, ob die Prozedur, global gesehen (sprich vom Anfang an bis zum Urteil) gerecht verlaufen ist.  Wenn dies nicht der Fall ist, dann muss die strittige Vernehmung von den Debatten ausgeschlossen werden, was bedeutet, dass die Aussage nicht verwertbar ist.  Ist dies wohl der Fall, kann das Gericht sie berücksichtigen.

Die Aussagen, die ein Beschuldigter bei der Polizei macht, ohne dass er von einem Rechtsanwalt begleitet wird, sind demnach nicht automatisch auszuschließen (Kass., 5/02/2020, P. 19.0623.F).

Ein Arbeitgeber ist auch dann zivilrechtlich haftbar für den Fehler seines Arbeitnehmers, wenn das Opfer ein anderer Arbeitnehmer ist.

Artikel 1384, Absatz 3 des ZGB verfügt, dass ein Arbeitgeber haftbar ist für die Fehler, die sein Arbeitnehmer, in Ausführung des Arbeitsverhältnisses, gegenüber einer Drittperson begeht.

In einer Angelegenheit, die der Kassationshof zu beurteilen hatte, hat ein Arbeitnehmer einen anderen Arbeitnehmer auf einer Baustelle angefahren.  Die Versicherung, die das Baustellenfahrzeug versichert, hat das Opfer entschädigt und dann eine Subrogationsklage gegen den Arbeitgeber eingeleitet.  Sie warf auf, dass der Arbeitgeber, der auf Basis der eben genannten gesetzlichen Bestimmung verantwortlich für den Fehler seines Arbeitnehmers ist, die Ausgaben, die sie für das Opfer des Unfalls hat tätigen müssen, übernehmen muss.

Der Arbeitgeber warf auf, dass Artikel 1384, Absatz 3 des Zivilgesetzbuches nicht greift, wenn der Fehler durch einen Arbeitnehmer einen Schaden an einem anderen Arbeitnehmer hat entstehen lassen, weil es sich hierbei nicht um eine Drittperson handelt.

Der Kassationshof sah dies anders.

Er entschied, dass der Arbeitgeber verantwortlich ist für den Fehler seines Arbeitnehmers, auch wenn das Opfer dieses Fehlers ein anderer Arbeitnehmer ist (Kass., 7/02/2020, C.19.0309.F).

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