Das Gericht, welches mit der Haftprüfung beauftragt ist, darf den Fehler eines Haftbefehls, der die falsche Partei aufführt, korrigieren.

Vor der Anklagekammer Brüssel stellte sich folgendes Problem.  Eine Person wurde verhaftet und der Untersuchungsrichter erließ einen Haftbefehl auf den Namen des Zwillingsbruders dieser Person.

Vor der Anklagekammer warf der Inhaftierte auf, dass es nie einen Haftbefehl gegen ihn gegeben hat, insofern sein Zwillingsbruder von dem Haftbefehl betroffen war.

Die Anklagekammer hat jedoch geurteilt, dass sie diesen materiellen Irrtum verbessern darf.

Der Kassationshof folgte der Anklagekammer.  Ab dem Moment, an dem die Anklagekammer darlegt, dass aufgrund des Rests der Ermittlungsakte kein Zweifel bestehen kann, dass die richtige Person verhaftet wurde, kann der Identitätsfehler im Haftbefehl verbessert werden (Kass., 27/05/2020, P. 20.0522.F).

Die Verwaltungsgerichtsbarkeiten müssen in ihren Entscheidungen dem Bürger mitteilen, dass ein Kassationsrekurs gegen ihre Entscheidung möglich ist und innerhalb welcher Frist er eingeleitet werden muss!

Wenn eine Person eine Verwaltungsentscheidung einer Behörde erhält, muss diese Verwaltungsentscheidung die Rechtsmittelmöglichkeiten und die Rechtsmittelfrist aufführen.  Tut sie dies nicht, sieht Artikel 19 der koordinierten Gesetze bezüglich des Staatsrates vor, dass die Rechtsmittelfrist nicht ab der Notifizierung der Entscheidung läuft, sondern erst nach Ablauf von 4 Monaten ab der Notifizierung der Verwaltungsentscheidung.

Der Staatsrat ist zuständig, um über Kassationsrekurse gegen Entscheidungen von Verwaltungsgerichten zu befinden.  Dieser Kassationsrekurs muss innerhalb einer gewissen Frist eingeleitet werden.  Das Gesetz sieht nicht vor, dass das Verwaltungsgericht, dessen Entscheidung vor dem Staatsrat angefochten werden kann, mitteilen muss, dass ein Kassationsrekurs gegen die Entscheidung möglich ist und innerhalb welcher Frist dieser Rekurs eingereicht werden muss.

Der Verfassungsgerichtshof ist der Ansicht, dass diese Situation gegen das Gleichheitsgebot verstößt.  Er entschied, dass, solange der Gesetzgeber nicht interveniert, per Analogie, die Bestimmung Anwendung finden muss, welche für Verwaltungsentscheidungen gilt, d.h. Artikel 19, Absatz 1 und 2 des koordinierten Gesetzes bezüglich des Staatsrates.

Anders ausgedrückt, haben die Verwaltungsgerichte nun die Verpflichtung aufzuzeigen, dass ein Kassationsrekurs eingereicht werden kann und innerhalb welcher Frist er eingereicht werden muss und, tun sie dies nicht, läuft diese Frist erst nach Ablauf einer Frist von 4 Monaten ab der ordnungsgemäßen Übermittlung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VGH 16/07/2020, Nr. 107/2020).

Verfassungsgerichtshof kippt Altersgrenze für Ansprüche auf Behindertengeld

Um einen Anspruch auf Behindertengeld zu haben, muss eine Person, in Anwendung des Artikels 2 des Gesetzes vom 27. Februar 1987 bezüglich der Behindertengelder mindestens 21 Jahre alt sein (und sie darf nicht über 65 sein).

Der Verfassungsgerichtshof wurde mit der Frage befasst, ob diese Altersgrenze nicht diskriminierend sei, insofern, in Belgien, die meisten Sozialleistungen ab dem Alter von 18 Jahren erteilt werden, sprich ab der Volljährigkeit.

Der Verfassungsgerichtshof folgte den Klägern und entschied, dass der Anspruchsteller auf eine Behindertenrente ungerechtfertigt diskriminiert wird, insofern er diese erst ab 21 Jahre erhalten darf (VGH, Entscheid Nr. 103/2020 vom 9. Juli 2020).

EGMR: Belgische Einspruchsmöglichkeiten gegen Beschlüsse einen Ausländers im Hinblick auf dessen Ausweisung festzuhalten können sich als ineffektiv erweisen.

Ausländer können im Hinblick auf ihre Ausweisung in einem geschlossenen Zentrum festgehalten werden. Gegen einen Festhaltungsbeschluss des Ausländeramtes bestehen Einspruchsmöglichkeiten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist zu dem Schluss gekommen, dass diese Einspruchsmöglichkeiten sich in Belgien als unzureichend effektiv erweisen können.

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Der Verfassungsgerichtshof stärkt die Rechte gewisser Teilzeitarbeiter, die einen Arbeitsunfall erlitten haben.

Ein Arbeiter, der Opfer eines Arbeitsunfalls wird, hat, wenn der Arbeitsunfall eine zeitweilige und/oder permanente Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat, Anrecht auf eine Entschädigung.

Diese Entschädigung basiert auf den Grundlohn, der im Wesentlichen von dem Lohn abhängt, den der Arbeiter im Jahr vor dem Arbeitsunfall verdient hat.

Wenn der Arbeiter nur ein Teilzeitarbeitsverhältnis abgeschlossen hat, wird der Lohn berücksichtigt, der im Rahmen dieses Teilzeitarbeitsverhältnisses ausgezahlt wird.

Wenn ein Arbeiter jedoch mehrere Teilzeitarbeitsverhältnisse abgeschlossen hat, muss der Lohn der kumulierten Teilzeitarbeitsverhältnisse berücksichtigt werden.

Wenn ein Arbeiter jedoch ein Teilzeitarbeitsverhältnis abgeschlossen hat und einen Volltagarbeitsvertrag und der Arbeitsunfall während der Ausübung des Teilzeitarbeitsverhältnisses geschehen ist, erlaubte die Gesetzgebung keine Kumulierung der Löhne.

Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass diese Situation verfassungswidrig sei.

In diesem Fall muss nun der Teilzeitarbeiter seine Entschädigung auf Basis des Lohnes ausbezahlt bekommen, den er für seine Teilzeitarbeit erhält, der jedoch hypothetisch auf einen Ganztagslohn aufgestockt wird. Vereinfacht ausgedrückt wird man errechnen, wieviel dieser Teilzeitarbeiter verdient hätte, wenn er Ganztagsarbeiter gewesen wäre (VGH, Nr.° 155/2019, 24/10/2019).

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