Kassationsrechtsprechung im Strafrecht

I. In der Anwendung des Artikels 71 des Strafgesetzbuches liegt keine Straftat vor, wenn der Angeklagte zum Tatzeitpunkt einen unüberwindbaren Fehler begangen hat. Ein Transportunternehmen, welches die zu transportierenden Ware ohne die eigentlich notwendige gerichtliche Erlaubnis verkauft hat, warf vor dem Appellationshof Lüttich auf, dass, da dies auf Anraten ihres spezialisierten Rechtsbeistandes geschah, der die Legalität dieser Vorgehensweise bestätigte, sie nicht strafrechtlich belangt werden könne, weil sie einen unüberwindbaren Fehler begangen habe. Das Berufungsgericht folgte dieser These und sprach den Angeklagten frei. Der Kassationshof hat diese Entscheidung kassiert. Die Richter entschieden, dass ein unüberwindbarer Fehler eines Angeklagten nicht alleine damit begründet werden kann, dass er dem Rat, handele es sich hierbei auch um einen hochspezialisierten Rat, seines Rechtsanwaltes folgte. Es kann nur dann von einem unüberwindbaren Fehler gesprochen werden, wenn jeder Transportunternehmer in der gleichen Situation denselben Fehler begangen hätte, was es dem Richter obliegt zu überprüfen (Kass., 06.09.2017, P. 17.0489. F).

 II. Der Antrag auf Wohnsitzeintragung an einer falschen Adresse ist eine Fälschung ungeachtet der Tatsache, dass er im Nachhinein verwaltungsrechtlich kontrolliert wird (Kass., 25.10.2017, P. 17.0277.F).

 III. Eine strafrechtlich verurteilte Person, die mit einem Urteil nicht einverstanden ist kann Berufung gegen diese Entscheidung einlegen. Diese Berufung muss, im Prinzip, innerhalb einer gewissen Frist und mittels eines hierfür vorgesehenen Formulars eingelegt werden. Eine verurteilte Person, die ihre Berufung zu spät eingereicht hat, beschwerte sich vor dem Kassationshof darüber, dass sie nicht ausdrücklich darüber informiert wurde (durch das Urteil oder durch das Formular, dass sie ausfüllen musste) innerhalb welcher Frist sie die Berufung hätte einlegen müssen, sodass ihre verspätete Berufung, aufgrund der Abwesenheit einer solchen Information, für zulässig erklärt werden müsse. Der Kassationshof folgt dieser These nicht. Demnach gibt es keine spezielle Verpflichtung  den Verurteilten auf die Länge der Berufungsfrist hinzuweisen (Kass., 25.10.2017, P. 17.0898.F).

 

Einspruchsmöglichkeiten bei strafrechtlicher Verurteilung in Abwesenheit

Eine natürliche oder juristische Person, die strafrechtlich in Abwesenheit verurteilt wurde hat, unter Beachtung verschiedener Formvorschriften und in einem gewissen zeitlichen Rahmen, die Möglichkeit einen Einspruch gegen dieses Urteil einzulegen, was dazu führt, dass das Gericht, das in Abwesenheit urteilte, nochmals mit der Angelegenheit befasst wird, und ein Urteil fällt, welches den Argumenten der beschuldigten Person Rechnung trägt. Früher brauchte der Abwesenheitsgrund nicht gerechtfertigt zu werden. Dies hat der Gesetzgeber durch ein Gesetz vom 5. Februar 2016 geändert. Der Einspruch kann nun nicht mehr angenommen werden, wenn die Abwesenheit nicht durch einen Fall höherer Gewalt oder durch einen legitimen Entschuldigungsgrund gerechtfertigt wird. Am 11. Oktober 2017 hat der Kassationshof entschieden, dass eine Krankheit des Beschuldigten, wenn dieser die Möglichkeit hatte einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen, nicht unbedingt ein legitimer Entschuldigungsgrund darstellt (Kass., 11/10/2017, P. 17.0526. F).

Neues vom Kassationshof

I. Wenn Sie außerhalb der Europäischen Union im Ausland verhaftet werden und ins Gefängnis kommen, greift grundsätzlich das Wiener Abkommen vom 24. April 1963 über die Konsulatsbeziehungen. Dieser internationale Vertrag legt dem Staat, der sie festgenommen hat, insofern er Vertragsparteien ist, verschiedene Verpflichtungen auf. So muss er es z.B. zulassen, dass sie mit dem Konsulat des Staates, dessen Staatsbürgerschaft sie haben, korrespondieren, dass dieses Konsulat ihre Familie informiert, dass es sich über ihre Haftbedingungen informieren kann, verschiedene Einkäufe von notwendigen Gütern (zu Ihren Lasten) tätigen kann, und sie im Gefängnis besuchen können.

Die Gerichte wurden mit folgender Frage befasst: kann der Staat, dessen Staatsbürger sie sind, wenn sie eine entsprechende Anfrage an das Konsulat stellen die Konsulatsdienstleistung ablehnen? Anders ausgedrückt, gilt es zu prüfen, ob die Gerichte des Staates dessen Staatsbürger sie sind diesen dazu verurteilen können seine Konsulatsdienstleistung zu gewähren, oder ob es sich hierbei um eine Opportunitätsentscheidung der Exekutivgewalt handelt.

Am 29. September 2017 hat der Kassationshof entschieden, dass das Wiener Abkommen über die Konsulatsbeziehungen dem belgischen Staat keine direkte Verpflichtung auferlegt zu intervenieren und er somit frei entscheiden kann, ob er die Leistungen, die im Abkommen vorgesehen sind für einen Staatsbürger erbringt. Die Gerichte können den belgischen Staat hierzu nicht zwingen. Der Kassationshof hat durch dieses Urteil die anderslautende Entscheidung des Appellationshofes Brüssel kassiert (Kass., 29/09/2017, C.15.0269.F).

II. Wenn Sie Sozialdienstleistungen zu Unrecht erhalten, kann die Behörde, die diese gezahlt hat einen Rückforderungsanspruch stellen. Wenn diese Leistungen jedoch zu Unrecht aufgrund eines Fehlers der Behörde erfolgt sind, ist diese, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind, nicht berechtigt die zu Unrecht gezahlten Beträge zurückzufordern. Hierbei handelt es sich um eine Anwendung des Artikels 17 der Charta des Sozialversicherten. In der folgenden Note habe ich eine kurze Zusammenfassung dieses Mechanismus erstellt (in französischer Sprache).

 

 

Kassationsrechtsprechung im Strafrecht

 

I. Wenn Sie in einer Strafangelegenheit in Abwesenheit verurteilt wurden, haben sie in manchen Fällen die Möglichkeit Einspruch gegen das Urteil einzulegen, was bedeutet, dass das Gericht, welches sie in Abwesenheit verurteilt hat nochmals über die Vorwürfe befindet. Im Rahmen dieses Einspruchserfahrens kann die Strafe nicht verschlimmert werden. Wenn Sie mit diesem Urteil nicht zufrieden sind, können Sie Berufung gegen das Einspruchsurteil einlegen. Es entspricht zwischenzeitlich der gängigen Rechtsprechung des Kassationshofes, dass das Berufungsgericht in diesem Fall ihre Strafe nicht verschlimmern darf, selbst wenn die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das Einspruchsurteil eingelegt hat. Wenn die verfolgende Behörde mit dem Strafmaß nicht einverstanden ist, muss sie demnach gezwungenermaßen Berufung gegen das Abwesenheitsurteil einlegen (Kass., 7/06/2017, P. 17.0220.F). 

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