Das gemeinsame Eigentum in Immobilien mit mehreren Appartements darf ohne richerliche Erlaubnis betreten werden.

Eine beschuldigte Person warf auf, dass die Polizisten nicht zu seinem Privatappartement hätten gelangen können, insofern sie keine richterliche Erlaubnis hatten, um in die Gemeinschaftsteile des Miteigentums zu gehen.

Der Kassationshof entschied jedoch, dass das gemeinschaftliche Eigentum der Miteigentümer in mehr Appartementhäusern nicht durch Artikel 15 der Verfassung, welche die Unverletzbarkeit des Privatwohnortes vorsieht, geschützt ist und die Beamten somit keine richterliche Erlaubnis benötigten, um diesen Teil zu betreten. (Kass., 27/05/2020, P. 20.0522.F)

Das Gericht, welches mit der Haftprüfung beauftragt ist, darf den Fehler eines Haftbefehls, der die falsche Partei aufführt, korrigieren.

Vor der Anklagekammer Brüssel stellte sich folgendes Problem.  Eine Person wurde verhaftet und der Untersuchungsrichter erließ einen Haftbefehl auf den Namen des Zwillingsbruders dieser Person.

Vor der Anklagekammer warf der Inhaftierte auf, dass es nie einen Haftbefehl gegen ihn gegeben hat, insofern sein Zwillingsbruder von dem Haftbefehl betroffen war.

Die Anklagekammer hat jedoch geurteilt, dass sie diesen materiellen Irrtum verbessern darf.

Der Kassationshof folgte der Anklagekammer.  Ab dem Moment, an dem die Anklagekammer darlegt, dass aufgrund des Rests der Ermittlungsakte kein Zweifel bestehen kann, dass die richtige Person verhaftet wurde, kann der Identitätsfehler im Haftbefehl verbessert werden (Kass., 27/05/2020, P. 20.0522.F).

Eine Verschlimmerung der Strafe nach alleinigem Einspruch des Beschuldigten ist nicht möglich! Jedoch, wann redet man von einer Verschlimmerung der Strafe?

Der Kassationshof war mit einer Angelegenheit befasst, im Rahmen welcher ein Beschuldigter, durch ein Versäumnisurteil zu 6 Jahren Haft und einem Einzug von 57.842,00 € verurteilt wurde.

Gegen dieses Versäumnisurteil legte der Beschuldigte Einspruch ein. Die Staatsanwaltschaft hat keine Berufung eingelegt. Nach dem Einspruch, reduzierte der Appellationshof die Gefängnisstrafe auf 65 Monate, erhöhte die Einzugsstrafe jedoch auf 442.283,00 €.

Der Kassationshof urteilte, dass diese Erhöhung rechtens war.

Er bestätigte, dass, insofern die Staatsanwaltschaft keine Berufung gegen das Versäumnisurteil eingelegt hatte, die Strafe gegenüber dem Beschuldigten, der Einspruch eingelegt hat und danach gegen das Einspruchsurteil Berufung einlegte, nicht verschlimmert werden kann, auch wenn die Staatsanwaltschaft ebenfalls gegen dieses Einspruchsurteil Berufung eingelegt hat.

Der Kassationshof entschied jedoch, dass, um die Schwere der Strafe zu beurteilen, man zunächst die Gefängnisstrafen vergleichen muss und, wenn die Gefängnisstrafe milder ist, ist das Urteil automatisch milder, egal was mit den anderen Strafen geschieht (Kass., 19/02/2020, P. 19.1247.f).

Ein Haftbefehl ist illegal, wenn der Untersuchungsrichter den Beschuldigten im Rahmen einer falschen Qualifizierung der Fakten vernimmt.

In der Regel muss ein Beschuldigter, bevor ein Haftbefehl durch den Untersuchungsrichter erlassen wird, bezüglich der Taten, die die Grundlage der Beschuldigungen sind und die zum Erlassen eines Haftbefehls führen können, in seinen Bemerkungen angehört werden.

Diese Befragung stellt ein Attribut der Verteidigungsrechte und der individuellen Freiheit eines Jeden dar. Sie dient dazu, dass der Beschuldigte den Untersuchungsrichter seine Bemerkungen bezüglich der Beschuldigung, die gegen ihm vorgebracht wird, unterbreiten kann.

Daher darf der Untersuchungsrichter nicht die Qualifizierung der Taten, die dem Beschuldigten vorgeworfen werden, ändern, ohne ihn erneut zu vernehmen.

In einer Angelegenheit, die unlängst beurteilt wurde, hatte ein Untersuchungsrichter einen Beschuldigten wegen unterlassener Hilfeleistung vernommen und dann Haftbefehl erlassen. Im Nachhinein wurde die Qualifizierung auf dem Haftbefehl in Todschlag geändert. Der Beschuldigte ist bezüglich der Qualifizierung des Todschlags nicht vernommen worden.

Der Kassationshof kassierte die Entscheidung der Anklagekammer, die diesen Haftbefehl für rechtmäßig erklärte (Kass., 4/03/2020, P. 20.0225.f).

Beistand eines Anwalts im Rahmen der Vernehmungen: Der Kassationshof schwächt die Rechte des Beschuldigten.

Grundsätzlich hat ein Beschuldigter in Belgien das Recht, wenn er von Polizisten vernommen wird, sich durch einen Rechtsanwalt begleiten zu lassen.

Wenn dieses Recht missachtet wird, darf das Gericht eine Verurteilung des Beschuldigten eigentlich nicht auf die Aussagen fußen, die ein Beschuldigter gemacht hat, ohne dass er durch einen Rechtsanwalt begleitet wurde.

Diese Position wurde jetzt durch den Kassationshof, in dem dieser sich auf die neueste Rechtsprechung des Europäischen Menschengerichtshofs basiert, gelockert.

Es muss nun von Mal zu Mal geprüft werden, ob die Prozedur, global gesehen (sprich vom Anfang an bis zum Urteil) gerecht verlaufen ist.  Wenn dies nicht der Fall ist, dann muss die strittige Vernehmung von den Debatten ausgeschlossen werden, was bedeutet, dass die Aussage nicht verwertbar ist.  Ist dies wohl der Fall, kann das Gericht sie berücksichtigen.

Die Aussagen, die ein Beschuldigter bei der Polizei macht, ohne dass er von einem Rechtsanwalt begleitet wird, sind demnach nicht automatisch auszuschließen (Kass., 5/02/2020, P. 19.0623.F).

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