Beistand eines Anwalts im Rahmen der Vernehmungen: Der Kassationshof schwächt die Rechte des Beschuldigten.

Grundsätzlich hat ein Beschuldigter in Belgien das Recht, wenn er von Polizisten vernommen wird, sich durch einen Rechtsanwalt begleiten zu lassen.

Wenn dieses Recht missachtet wird, darf das Gericht eine Verurteilung des Beschuldigten eigentlich nicht auf die Aussagen fußen, die ein Beschuldigter gemacht hat, ohne dass er durch einen Rechtsanwalt begleitet wurde.

Diese Position wurde jetzt durch den Kassationshof, in dem dieser sich auf die neueste Rechtsprechung des Europäischen Menschengerichtshofs basiert, gelockert.

Es muss nun von Mal zu Mal geprüft werden, ob die Prozedur, global gesehen (sprich vom Anfang an bis zum Urteil) gerecht verlaufen ist.  Wenn dies nicht der Fall ist, dann muss die strittige Vernehmung von den Debatten ausgeschlossen werden, was bedeutet, dass die Aussage nicht verwertbar ist.  Ist dies wohl der Fall, kann das Gericht sie berücksichtigen.

Die Aussagen, die ein Beschuldigter bei der Polizei macht, ohne dass er von einem Rechtsanwalt begleitet wird, sind demnach nicht automatisch auszuschließen (Kass., 5/02/2020, P. 19.0623.F).

Haftbefehl ohne Erwähnung des Tatorts und Tatzeitpunkts ist nicht notwendigerweise illegal.

Insofern keine gesetzliche Bestimmung etwas anderes vorsieht, ist ein Haftbefehl nicht dadurch illegal, dass der Tatort und der Tatzeitpunkt darin nicht enthalten sind.

Es gilt zu prüfen, ob der Inhaftierte seine Verteidigungsrechte hat geltend machen können.  Demnach, wenn aus der Akte hervorgeht, die dem Inhaftierten zur Verfügung gestellt worden ist, dass er durch deren Konsultation präzise genug über den Tatzeitpunkt und den Tatort der Straftat, die ihm vorgeworfen wird, informiert wurde, um sich zu verteidigen, ist der Haftbefehl, der weder den Tatzeitpunkt noch den Tatort enthält, nicht illegal (Kass., P.19.1269.F).

Verbot in anderen Verfahren der Nutzung gewisser Beweisunterlagen, die in Familienangelegenheiten entstanden sind:

In Anwendung der Artikel 50 und 55 des Gesetzes vom 08/04/1965 bezüglich des Jugendschutzes dürfen die Prozedurunterlagen bezüglich der Persönlichkeit des interessierten Minderjährigen und des Milieus in dem er lebt nur im Rahmen dieser Prozedur und im Interesse des Minderjährigen genutzt werden.

Solche Dokumente können jedoch auch in anderen Verfahren entstehen, wie zum Beispiel, wenn, bei einer Scheidung, über die Beherbergung des Kindes diskutiert wird. Für die anderen Verfahren gibt es jedoch keine ähnliche Ausschlussbestimmung, sodass eine Partei, die im Rahmen eines Strafverfahrens verfolgt wurde, zu ihrer Verteidigung, eine Expertise, die das minderjährige gemeinsame Kind betraf, hinterlegen wollte.

Der Appellationshof MONS hat diese Beweisunterlagen von den Debatten ausgeschlossen. Der Kassationshof hat diese Entscheidung bestätigt. Er ist der Ansicht, dass die Freiheit seine Verteidigung zu organisieren, wie es der angeklagten Person gefällt und die Freiheit, jegliche Unterlagen zu nutzen, die in ihrem Besitz sind, hier vor dem übergeordneten Interesse des minderjährigen Kindes weichen muss (Kass., 04/12/19, p. 18.0531.F).

Überschreitung der vernünftigen Frist, um jemanden zu verurteilen führt nicht zur Anwendbarkeit der Bewährungsregeln, dort wo sie ausgeschlossen waren:

Jede angeklagte Person hat das Recht, dass sein Verfahren innerhalb einer vernünftigen Frist abläuft. Ist diese vernünftige Frist überschritten, muss das Gericht dieser Tatsache bei der Strafbemessung Rechnung tragen. In schlimmen Fällen kann das Gericht es sogar bei einem einfachen Schuldspruch belassen, ohne eine Strafe auszusprechen.

Der Kassationshof ist mit der Frage befasst worden, ob ein Gericht, in den Fällen, in denen es eigentlich keine Bewährung aussprechen darf (zum Beispiel, weil der Angeklagte nicht mehr in den Bedingungen ist aufgrund verschiedener Vorstrafen, oder aufgrund eines Rückfalls), trotzdem eine Bewährungsstrafe aussprechen darf ,wenn es feststellt, dass die vernünftige Frist überschritten ist.

Laut Kassationshof ist dies nicht der Fall. Dies bedeutet, dass, wenn die vernünftige Frist überschritten ist, gibt es nicht die Möglichkeit eine nicht existente Bewährung auszusprechen (Kass., 16/10/2019, P.19.0608.F).

Strafvollstreckungsrichter und Strafvollstreckungsgericht nur zuständig, um einen Urlaub aus medizinischen Gründen zu gewähren, wenn der Antragsteller im Gefängnis ist:

Der Strafvollstreckungsrichter und das Strafvollstreckungsgericht sind, aufgrund des Artikels 72 des Gesetzes vom 17/05/2006, bezüglich des externen Statuts der zur Freiheitsstrafen verurteilten Personen, ermächtigt den Verurteilten die vorläufige Freiheit aus medizinischen Gründen zu gewähren. Diese Bestimmung findet Anwendung, wenn ein Verurteilter eine unheilbare Krankheit hat und kurz vor dem Ableben ist, oder wenn seine Gefangenschaft unvereinbar mit seinem Gesundheitszustand ist.

Der Kassationshof ist mit der Frage befasst worden, ob ein Verurteilter, der nicht im Gefängnis ist, einen solchen Antrag stellen kann (beispielsweise, wenn das Urteil gefällt worden ist, er aber noch nicht ins Gefängnis musste, weil die Strafe noch nicht wurde).

Für den Kassationshof ist der Strafvollstreckungsrichter, beziehungsweise das Strafvollstreckungsgericht nur zuständig, wenn der Verurteilte auch wirklich im Gefängnis ist.

Der Kassationshof weist darauf hin, dass, solange der Verurteilte nicht im Gefängnis ist, das Gericht Erster Instanz (gegebenenfalls in einem Schnellverfahren) für eine solche Anfrage zuständig ist (Kass., 16/10/2019, P.19.0952.F).

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