Kann die Geldstrafe, die durch einen sanktionierenden Beamten ausgesprochen wird einer Legalitätsprüfung standhalten, wenn der Feststellungsbericht, der zur Auferlegung der Geldstrafe gedient hat, durch den Feststellungsbeamten nicht unterschrieben wurde?

Die Stadt Antwerpen hat eine Umweltzone eingerichtet, in der verschiedene Emissionswerte nicht überschritten werden dürfen. Geschieht dies trotzdem, kann ein Feststellungsbeamter diese Übertretung festhalten und dem Zuwiderhandelnden kann danach, durch den sanktionierenden Beamten, eine Geldstrafe auferlegt werden.

Das Polizeigericht von Antwerpen hat die Entscheidung des sanktionierenden Beamten, der eine Geldstrafe auferlegt hat, obwohl der Feststellungsbericht nicht unterzeichnet war, annulliert, aufgrund der Tatsache, dass man davon ausgehen muss, dass, in Ermangelung einer Unterzeichnung des Berichts, keine gültigen Feststellungen gemacht wurden.

Der Kassationshof hat dieses Urteil kassiert. Für unseren Obersten Gerichtshof kann die alleinige Tatsache, dass der Feststellungsbericht nicht unterzeichnet ist, nicht dazu führen, dass die Geldstrafe, die auf Basis des Berichts erlassen wird, illegal ist. Der Richter muss prüfen, ob die Feststellungen des Feststellungsbeamten, seiner Meinung nach, der Wahrheit entsprechen und, wenn er davon überzeugt ist, dass dies der Fall ist, kann er die Geldstrafe nicht annullieren, aufgrund der alleinige Tatsache, dass der Feststellungsbericht nicht unterzeichnet war. (Kass., 26/03/2021, C.18.0487.N).

Der Kassationshof präzisiert die Verpflichtungen der Polizisten im Rahmen der Alkoholkontrollprozedur im Straßenverkehr:

Die Alkoholkontrollprozedur im Straßenverkehr wird unter anderem durch einen königlichen Erlass vom 21. April 2007 geregelt. Dort steht unter anderem geschrieben, dass, wenn ein Autofahrer in eine Alkoholkontrolle gerät, er das Recht hat, wenn die erste Atemanalyse den Grenzwert überschreitet, eine 2. Atemanalyse fordern kann.

Vor der niederländischsprachigen Strafkammer des Gerichts Erster Instanz Brüssel stellte sich die Frage, ob der Beamte den Fahrer ausdrücklich darauf aufmerksam machen muss, dass er das Recht auf eine 2. Atemanalyse hat und, ob das Gericht aus dem Umstand, dass die Polizisten im Protokoll aufführen, dass der Prozedur, wie sie durch den Erlass vom 21. April 2007 vorgesehen ist, Genüge getan wurde, ableiten können, dass wirklich sämtliche Garantien, die in dieser Bestimmung verankert sind, respektiert wurden.

Das eben genannte Strafgericht entschied in diese Richtung und der Kassationshof bestätigte dieses Urteil.

Daraus folgt, dass die Beamten weder eine Verpflichtung haben den Kontrollierten auf das Recht eine zu fordern 2. Atemanalyse hinzuweisen müssen, noch etwas anders in ihrem Protokoll schreiben müssen als, dass den Bestimmungen des Erlasses vom 21. April 2007 Genüge getan wurde, damit die Rechtmäßigkeit dieser Prozedur nicht mehr infrage gestellt werden kann (Kass., 23/02/2021, P. 20.1209.N).

Der Kassationshof stärkt die Rechte der Prozessparteien, die nicht in der EU wohnen

Verschiedene Parteien, die im Kongo wohnten, verloren einen Prozess vor dem erstinstanzlichen Gericht Brüssel.  Der Gewinner hat irgendwann das Urteil zustellen lassen, damit die Berufungsfrist läuft.

Nach belgischem Recht läuft die Berufungsfrist in der Regel ab dem Tag der Zustellung des Urteils (manchmal Notifizierung).

In Anwendung der Artikel 38, 40 und 57 des Gerichtsgesetzbuches gilt die Zustellung als erfolgt, ab dem Zeitpunkt, an dem der Gerichtsvollzieher den Brief, mit dem er die Zustellung vollzieht, im Postbüro abgibt.

Insofern es unter diesen Voraussetzungen sein kann, dass die Berufungsfrist abgelaufen ist, ohne dass der Zustellungsempfänger die Post erhalten hat, ist der Kassationshof der Ansicht, dass die eben genannten Bestimmungen des Gerichtsgesetzbuches gegen Artikel 6, §1 der Menschenrechtskonvention verstoßen (Kass., 28/01/2021, C.20.0007.F).

Appellationshof Lüttich zu den Möglichkeiten für ein in Belgien geborenes Kind, das ansonsten staatenlos wäre, die belgische Nationalität zu erhalten, wenn dessen Eltern das subsidiäre Schutzstatut erhalten haben

Der Appellationshof Lüttich wurde mit der Frage befasst, ob ein Kind, das in Belgien geboren wurde und dessen Eltern das subsidiäre Schutzstatut erhalten haben, automatisch die belgische Nationalität erhält.

Artikel 10 des Gesetzbuches über die belgische Nationalität sieht vor, dass ein Kind, das in Belgien geboren wurde und staatenlos wäre, wenn es nicht die belgische Nationalität erhalten würde, die belgische Nationalität erhält, es sei denn es könnte eine andere Staatsangehörigkeit erhalten, indem entsprechende Verwaltungsschritte bei den Behörden des Landes/der Länder seiner Elternteile unternommen werden.

In seinem Entscheid vom 3. März 2022 geht der Hof zunächst auf zwei Verfahrensfragen ein:

  • Für Anträge auf Erteilung der belgischen Nationalität aufgrund von Artikel 10 des Gesetzbuches über die belgische Nationalität ist gemäß Art. 572bis des Gerichtsgesetzbuches das Familiengericht zuständig.
  • Die Berufungsfrist beträgt, wenn das Verfahren durch einseitigen Antrag eingereicht wurde, einen Monat ab der Notifizierung der Entscheidung des Familiengerichts (Art. 1031 GGB). Mit andren Worten: Die kurze 15-Tagesfrist, welche das Nationalitätsgesetzbuch im Falle von Staatsbürgerschaftserklärungen  vorsieht, findet in diesem Fall keine Anwendung.

Anschließend erläutert der Hof, in welchen Fällen das subsidiäre Schutzstatut der Eltern eine „absolute Unmöglichkeit“ darstellt, um Kontakt mit den Behörden ihres Herkunftslandes/ihrer Herkunftsländer aufzunehmen, wenn dieser erforderlich wäre, um die Nationalität des betroffenen Herkunftslandes zu erhalten, und ihrem Kind allein deswegen die belgische Nationalität zuerkannt werden kann (a), und in welchen Fällen zusätzliche Belege vorgelegt werden müssen, um nachzuweisen, dass das Kind keine andere Nationalität erhalten könnte, damit es Belgier werden kann (b).

(a) Eine Kontaktaufnahme mit den Behörden des Landes/der Länder seiner Elternteile könne nicht verlangt werden, wenn diesen das subsidiäre Schutzstatut zuerkannt wurde, da ihnen die Vollstreckung einer Todesstrafe oder Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Herkunftsland drohe.

Dies gelte im Übrigen auch für Flüchtlinge.

(b) Wenn den Eltern hingegen das subsidiäre Schutzstatut zugesprochen wurde, da für sie im Rahmen eines bewaffneten Konflikts eine ernsthafte individuelle Bedrohung bestehe, sei eine solche Kontaktaufnahme nicht automatisch unmöglich.

Demnach wurden die Eltern des betroffenen Kindes aufgefordert, Kontakt mit den Behörden ihres Herkunftslandes (Syrien) aufzunehmen, um zu versuchen, dem Kind die Staatsangehötigkeit dieses Landes verleihen zu lassen.

Schlussfolgernd hält der Appellationshof Lüttich fest, dass „wenn die von den Eltern bei ihren diplomatischen oder konsularischen Vertretungen unternommenen Schritte nicht dazu geführt haben, dass ihrem Kind die [syrische] Staatsangehörigkeit verliehen wird, beweist dies, dass das Kind nicht durch einen Verwaltungsschritt eine andere Staatsangehörigkeit erhalten kann, was zur Folge haben wüirde, dass ihm die belgische Staatsangehörigkeit gemäß Artikel 10 zuerkannt wird.“

Ein Mietverhältnis kann aufgelöst werden, aufgrund des unzivilisierten Verhalten des Mieters den anderen Mietparteien gegenüber

Sowohl das alte Zivilgesetzbuch, als auch das wallonische Dekret bezüglich des Wohnmietvertrags sehen vor, dass der Vermieter nicht für faktische Störungen haftet, die durch Drittpersonen, also auch durch andere Mietparteien, verursacht werden.

Das Gericht 1. Instanz Lüttich, Division Verviers hat trotzdem das Mietverhältnis zwischen einem Vermieter und einem Mieter aufgelöst, weil dieser sich nicht korrekt gegenüber den anderen Mietparteien im Haus benahm. Dieser Mieter machte bis tief in die Nacht Krach, war unhöflich zu den anderen Mietern, beteiligte sich nicht an das gute Funktionieren des Zusammenlebens, usw.

Vor dem Kassationshof wurde die Annullierung dieser Entscheidung beantragt, weil, so der Kläger, das Gericht den Vertrag nicht hätte auflösen dürfen, denn, insofern der Vermieter nicht für die faktischen Störungen des Mieters verantwortlich ist, kann das Gericht auch nicht den Vertrag aufgrund einer vertraglichen Haftung dieses Mieters auflösen.

Diese sah das oberste Gericht anders. Der Mieter hat die Verpflichtung das Mietobjekt wie ein guter Familienvater zu nutzen. Diese Verpflichtung impliziert ein korrektes Verhalten gegenüber den anderen Mietparteien (Kass., 7/01/2021, C.20.0273.F).

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