Die mit einer Strafangelegenheit befasste Strafkammer kann die Untersuchungshaft des Beschuldigten aufheben, eine bedingte Freilassung anordnen oder durch eine elektronische Überwachung ersetzen

Wenn ein Beschuldigter zu diesem Zeitpunkt noch in Untersuchungshaft ist, entscheidet die Ratskammer oder gegebenenfalls die Anklagekammer, bei der Verfahrensregelung, ob die Untersuchungshaft aufrechterhalten wird, ob der Beschuldigte unter Bedingungen in Freiheit gelassen wird, oder ob die Untersuchungshaft durch eine elektronische Überwachung ersetzt wird.

Immer dann wenn die Ratskammer oder die Anklagekammer die Untersuchungshaft aufrechterhält, und der Beschuldigte, nachdem die Strafkammer des Gerichts befasst wurde noch in Untersuchungshaft verweilt, kann er zu jedem Zeitpunkt einen Antrag auf Freilassung (mit oder ohne Bedingungen) oder auch auf elektronische Überwachung stellen, auch wenn die letzte Modalität im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen ist. (Kass., 25/08/2021, P.21.1144.N).

Verfassungsgerichtshof hat wenig an der gesetzlichen Grundlage der damaligen Coronamaßnahmen (Strafen) auszusetzen

Es hat Monate gedauert, bis in Belgien ein Pandemiegesetz verabschiedet wurde.

Bis dahin beruhten die Coronamaßnahmen vor allem auf einem Gesetz vom 15. Mai 2007 bezüglich der zivilen Sicherheit, welches den Innenminister befugt, um die Bevölkerung zu schützen, in gefährlichen Situationen Maßnahmen zu ergreifen, deren Missachtung strafrechtlich verfolgt werden kann.

Es gab jedoch Bedenken, ob die Gesetzgebung, die in Folge der Ghisleghien-Katastrophe verabschiedet worden war, auch als gesetzliche Grundlage für Coronamaßnahmen, bzw. für Strafmaßnahmen bei deren Missachtung dienen konnte.

In einem Entscheid vom 22. September 2022 kommt der Verfassungsgerichtshof zu dem Schluss, dass diese Vorgehensweise im Wesentlichen verfassungskonform war: Der strafrechtliche Legalitätsgrundsatz, wonach zumindest die wesentlichsten Elemente einer Strafverfolgung in einem Gesetz enthalten sein müssen, sei nicht verletzt worden. Die Verfassung werde jedoch verletzt, indem das Gesetz keine strafmildernden Umstände zulasse.

Arbeitsgerichtshof Brüssel: In Erwartung einer Unterbringung durch FEDASIL kann ein Asylbewerber Sozialhilfe beantragen

Die "Aufnahmekrise" in Belgien dauert an: Seit Monaten sind zahlreiche Asylbewerber mangels ausreichender Aufnahmeplätze auf sich selbst gestellt, bzw. auf die Solidarität der belgischen Zivilgesellschaft angewiesen. Viele leben auf der Straße.

Jeder Asylbewerber hat jedoch das Recht, eine sog. „materielle Hilfe“ in Form einer Unterbringung in einem Asylzentrum oder einer anderen Aufnahmestruktur zu erhalten.

FEDASIL ist deshalb bereits mehrere tausend Male verurteilt worden, einzelne Asylbewerber unterzubringen.

Entsprechenden Verurteilungen, selbst wenn sie mit einem Zwangsgeld versehen sind, kommt FEDASIL jedoch erst Wochen bis Monaten nach der Verurteilung nach.

Das Zwangsgeld hat sich als unzureichendes Druckmittel erwiesen, da FEDASIL als Einrichtung im öffentlichen Interesse über nahezu ausschließlich unpfändbare Sachen verfügt. FEDASIL hat also wenig zu befürchten, wenn es einer Verurteilung nicht zeitnah nachkommt.

Der Arbeitsgerichtshof Brüssel (Entscheid vom 28. September 2022) hat einem Asylbewerber, den FEDASIL unmittelbar unterbringen muss, daher die Möglichkeit eröffnet, sollte die Unterbringung nicht innerhalb von 48 Stunden erfolgt sein, sich an ein ÖSHZ zu wenden, um in Erwartung einer Unterbringung durch FEDASIL eine finanzielle Unterstützung in Form einer Sozialhilfe erhalten zu können.

Im Fachjargon spricht man von einer Nichtzuweisung/Streichung eines obligatorischen Eintragungsortes (Code 207).

Diese Rechtsprechung wurde u.a. in einem Entscheid vom 15. Dezember 2022 bestätigt.

Legalitätsprüfung eines Haftbefehls durch die Ratskammer: Eine prekäre Einschätzung und eine Begründung, die nicht auf alle Argumente der Verteidigung eingeht, reichen aus.

Wenn der Untersuchungsrichter einen Haftbefehl erlassen hat, prüft die Ratskammer diesen Haftbefehl spätestens innerhalb einer Frist von 5 Tagen, ab dem Zeitpunkt, an dem er dem Inhaftierten zugestellt wurde.

Im Rahmen dieser Prüfung kann die Verteidigung Gründe geltend machen, warum Beweise, die zum Haftbefehl führten, illegal sind und folglich nicht als Schuldindizien zu werten sind, die eine Verhaftung rechtfertigen.

Der Kassationshof entschied, dass die Ratskammer, die den Haftbefehl aufrecht erhält, nicht auf jedes kleinste Argument der Verteidigung eingehen muss, insofern sie die Verpflichtung hat innerhalb einer kurzen Frist zu urteilen und, wenn die Verteidigung die Illegalität der Beweise aufführt und in der Konsequenz das Vorhandensein von Schuldindizien bestreitet, dann reicht es, wenn die Ratskammer eine 1. Einschätzung bezüglich der Legalität der entsprechenden Beweismittel vornimmt. (Kass., 14/07/2021, P.21.0905.N).

Appellationshof Lüttich: Palästinensische Identitätsdokumente sind kein Beweis für eine „palästinensische Nationalität“

Dem aufmerksamen Leser unserer News wird nicht entgangen sein, dass die Fragen, ob Palästina ein Staat ist und ob es eine palästinensische Staatsangehörigkeit gibt, zur Zeit unterschiedlich durch die belgischen Gerichte beantwortet werden.

Zuletzt argumentierte die Staatsanwaltschaft, dass die Ausstellung von Identitätsdokumenten durch die Palästinensische Autonomiebehörde den Beweis dafür darstellen würde, dass deren Inhaber eine „palästinensische Nationalität“ besitzen würden.

Der Appellationshof Lüttich hat dieses Argument in mehreren Entscheiden vom 30. Juni 2022 verworfen und entschieden:

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