Verfassungsgerichtshof äußert sich erneut zur Legalität der Coronamaßnahmen

Bevor in Belgien ein Pandemiegesetz verabschiedet wurde, beruhten die Coronamaßnahmen vor allem auf einem Gesetz vom 15. Mai 2007 bezüglich der zivilen Sicherheit.

Dieses Gesetz, welches in Folge der Ghisleghien-Katastrophe verabschiedet worden war, befugt den Innenminister in gefährlichen Situationen Maßnahmen zu ergreifen, um die Bevölkerung zu schützen. Die Missachtung dieser Maßnahmen kann strafrechtlich verfolgt werden.

Verschiedene Gerichte hatten Bedenken, dass diese Gesetzgebung als gesetzliche Grundlage für Coronamaßnahmen, bzw. für Strafmaßnahmen bei deren Missachtung dienen konnte. Sie stellten dem Verfassungsgerichtshof demnach Vorabentscheidungsfragen.

In einem Entscheid Nr. 170/2022 vom 22. Dezember 2022 hält der Verfassungsgerichtshof fest, dass die Anwendung des Gesetzes vom 15. Mai 2007 im Rahmen der Coronapandemie größtenteils im Einklang mit der Verfassung stand.

Hingegen müsse das Gesetz so ausgelegt werden, dass es dem Strafrichter erlaubt, mildernden Umständen Rechnung zu tragen.

Öffnung eines Vizinalwegs: der Bürger hat ein Klagerecht

Der Kassationshof bestätigte das Urteil des Gerichts erster Instanz von Leuven, welches einem Bürger, der sich gegen die Hindernisse, die auf einem im Atlas der Vizinalwege eingetragenen Weg angebracht wurde, wehrte. Unser oberstes Gericht ist der Ansicht, dass ein Bürger ein persönliches Interesse daran haben kann, dass ein solcher Weg frei bleibt (Kass. 7/02/2022, C.21.0164.N).

Der Königliche Erlass Nummer 474 bezüglich der sogenannten ACS Arbeitskräfte bei den lokalen Behörden (und vermutlich seine regionalen und gemeinschaftlichen Nachfolger) ist eine ausreichende Erlaubnis für eine Behörde Vertragspersonal einzustellen

In der Regel sieht die Gesetzgebung vor, unter welchen Voraussetzungen eine öffentliche Behörde Vertragspersonal einstellen darf, insofern im Prinzip das Arbeitsverhältnis zwischen einer öffentlichen Behörde und dem Mitarbeiter ein Beamtenverhältnis ist.

Im Jahre 2001 hat ein ÖSHZ in der Region Brüssel, eine Juristin auf Basis eines Arbeitsvertrags eingestellt, ohne die Artikel 55 und 56 des Gesetzes vom 8. Juli 1976 zu beachten.

Der Appellationshof urteilte darauf hin, nachdem eine entsprechende Klage des Personalmitglieds eingereicht wurde, dass davon ausgegangen werden müsse, dass die Klägerin seit 2001 in einem Beamtenverhältnis war und es den Arbeitsvertrag nie gegeben hat.

Das ÖSHZ warf auf, dass der Königliche Erlass Nummer 474 vom 28. Oktober 1986, welcher verschiedene Subventionen für lokale Behörden im Rahmen der Einstellung von Arbeitskräften vorsah, eine eigenständige Basis ist, um ihm zu erlauben, Mitarbeiter im Rahmen eines Arbeitsvertrags einzustellen.

Der Kassationshof folgte der These des ÖSHZ. Daraus folgt, dass, ab dem Zeitpunkt, an dem eine Behörde in den Bedingungen ist, um eine ACS Arbeitskraft einzustellen, die entsprechende Gesetzgebung als autonome Ermächtigung gilt, Arbeitskräfte mittels eines Arbeitsvertrags einzustellen.  Dies gilt auch für die regionalen und gemeinschaftlichen Bestimmungen, die den Königlichen Erlass zwischenzeitlich abgelöst haben (Kass.; 13/412/2021, C.19.0317.F).

Die Herausgabe der Identität des Fahrers: Der Gegenbeweis muss möglich bleiben

Artikel 67ter des Gesetzes bezüglich des Straßenverkehrs sieht vor, dass, wenn eine Straftat mit einem Auto begangen wird, dessen Fahrer nicht identifiziert werden konnte, der Inhaber des Nummernschilds (eine natürliche Person oder eine juristische Person), die Verpflichtung hat, sobald er eine entsprechende Frage von den verfolgenden Behörden erhalten hat, die Identität des Fahrers zum Zeitpunkt der Straftat mitzuteilen.

Damit diese Verpflichtung besteht, muss eine entsprechende Anfrage gestellt worden sein.  Es reicht darüber hinaus nicht aus, einfach zu bestreiten, eine Anfrage erhalten zu haben, wenn die verfolgende Behörde angibt, diese versandt zu haben.

Der Kassationshof entschied, dass ein Richter, aus dem Umstand, dass der Polizist oder die Staatsanwaltschaft angibt, dass die Anfrage verschickt worden ist, ableiten kann, dass der Zuwiderhandelnde diese Anfrage auch erhalten hat, und wenn er angibt diese nicht erhalten zu haben, kann das Gericht davon ausgehen, dass dies durch seinen Fehler geschehen ist.  Dieser Gedankengang darf jedoch nicht automatisch sein.  Das Gericht muss dem Beschuldigten die Möglichkeit geben, den negativen Beweis zu erbringen, dass er die Anfrage nicht erhalten hat.  Das Urteil eines Gerichts, welches diesen Beweis nicht zulässt, wird annulliert (Kass.; 14/12/2021, P.21.1108.N).

Ein Geisteskranker ist nicht schuldfähig und somit nicht strafbar, selbst wenn er diesen Zustand selbst herbeigeführt hat

Der Appellationshof Brüssel hat am 13. Januar 2021 eine Person für verschiedene Straftaten schuldig erklärt, obwohl er festgestellt hat, dass diese Person nicht schuldfähig im Sinne des Artikels 71 des Strafgesetzbuches war (Geisteskrankheit), weil die Geisteskrankheit durch den langandauernden Cannabis- und Alkoholkonsum durch diese Person selbst verursacht wurde.

Der Kassationshof hat dieses Urteil kassiert.  Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen der Geisteskrankheit, die aus eigenem Verschulden hervorgerufen wird und die, die dies nicht tut.

Der Kassationshof (vermutlich um verschiedene Alkoholexzesse als Entschuldigungsgrund gelten zu lassen) stellt jedoch wohl fest, dass die Geistesabwesenheit, um als Rechtfertigungsgrund angesehen zu werden, eine gewisse Dauer haben muss (Kass., 25/05/2021, P.21.0266.N).

/KONTAKTDATEN

Kelmis 

Kapellstraße 26
B-4720 Kelmis

T +32 (0) 87 65 28 11
F +32 (0) 87 55 49 96
E info@levigo-avocats.be