Schulderklärung versus Aussetzung der Urteilsverkündung: welche Strafe ist milder?

Jeder Bürger hat im Strafrecht den Anspruch, dass seine Angelegenheit innerhalb einer vernünftigen Frist beurteilt wird. Wenn der Richter feststellt, dass diese vernünftige Frist am Tag seiner Entscheidung überschritten ist, muss er die Strafe, die er eigentlich ausgesprochen hätte, mindern. Dies kann so weit gehen, dass er eine einfache Schulderklärung ohne Strafe ausspricht.

In diesem Fall, wie in anderen Fällen auch, hat er ebenfalls die Möglichkeit die Aussetzung der Urteilsverkündung auszusprechen, was ebenfalls dazu führt, dass keine Strafe verkündet wird.

Der Kassationshof wurde nun befragt, sich darüber zu äußern, welche der beiden Strafen milder ist. Für das oberste Gericht ist die Aussetzung der Urteilsverkündung die strengere Strafe, insofern sie zurückgenommen werden kann, was bei einer einfachen Schulderklärung nicht möglich ist. (Kass., 13/01/2021, P.20.1203).

Die Untersuchungshaft darf nicht als Zwangsmittel gebraucht werden

Jeder Beschuldigte hat das Recht zu schweigen oder zu lügen.  Die Behörden dürfen demnach einen Beschuldigten nicht in Untersuchungshaft setzen, damit er redet, oder die Wahrheit sagt.

Der Haftbefehl, der aus den eben erwähnten Gründen ausgestellt wird, ist illegal.

Vor dem Kassationshof stellte sich jedoch die Frage, ob ein entsprechender Fehler des Untersuchungsrichters im Rahmen des Haftprüfungstermins korrigiert werden kann, d.h. den illegalen Grund durch einen legalen Grund ersetzt werden kann.

Der Kassationshof verneint dies.  Ein Haftbefehl, welcher ausgestellt wird, damit ein Beschuldigter redet, bzw. Lügen berichtigt, kann im Rahmen der Haftprüfung nicht korrigiert werden und bleibt illegal.

(Kass., 10/02/2021, P.21.0163.F)

Das gemeinsame Eigentum in Immobilien mit mehreren Appartements darf ohne richerliche Erlaubnis betreten werden.

Eine beschuldigte Person warf auf, dass die Polizisten nicht zu seinem Privatappartement hätten gelangen können, insofern sie keine richterliche Erlaubnis hatten, um in die Gemeinschaftsteile des Miteigentums zu gehen.

Der Kassationshof entschied jedoch, dass das gemeinschaftliche Eigentum der Miteigentümer in mehr Appartementhäusern nicht durch Artikel 15 der Verfassung, welche die Unverletzbarkeit des Privatwohnortes vorsieht, geschützt ist und die Beamten somit keine richterliche Erlaubnis benötigten, um diesen Teil zu betreten. (Kass., 27/05/2020, P. 20.0522.F)

Das Gericht, welches mit der Haftprüfung beauftragt ist, darf den Fehler eines Haftbefehls, der die falsche Partei aufführt, korrigieren.

Vor der Anklagekammer Brüssel stellte sich folgendes Problem.  Eine Person wurde verhaftet und der Untersuchungsrichter erließ einen Haftbefehl auf den Namen des Zwillingsbruders dieser Person.

Vor der Anklagekammer warf der Inhaftierte auf, dass es nie einen Haftbefehl gegen ihn gegeben hat, insofern sein Zwillingsbruder von dem Haftbefehl betroffen war.

Die Anklagekammer hat jedoch geurteilt, dass sie diesen materiellen Irrtum verbessern darf.

Der Kassationshof folgte der Anklagekammer.  Ab dem Moment, an dem die Anklagekammer darlegt, dass aufgrund des Rests der Ermittlungsakte kein Zweifel bestehen kann, dass die richtige Person verhaftet wurde, kann der Identitätsfehler im Haftbefehl verbessert werden (Kass., 27/05/2020, P. 20.0522.F).

Eine Verschlimmerung der Strafe nach alleinigem Einspruch des Beschuldigten ist nicht möglich! Jedoch, wann redet man von einer Verschlimmerung der Strafe?

Der Kassationshof war mit einer Angelegenheit befasst, im Rahmen welcher ein Beschuldigter, durch ein Versäumnisurteil zu 6 Jahren Haft und einem Einzug von 57.842,00 € verurteilt wurde.

Gegen dieses Versäumnisurteil legte der Beschuldigte Einspruch ein. Die Staatsanwaltschaft hat keine Berufung eingelegt. Nach dem Einspruch, reduzierte der Appellationshof die Gefängnisstrafe auf 65 Monate, erhöhte die Einzugsstrafe jedoch auf 442.283,00 €.

Der Kassationshof urteilte, dass diese Erhöhung rechtens war.

Er bestätigte, dass, insofern die Staatsanwaltschaft keine Berufung gegen das Versäumnisurteil eingelegt hatte, die Strafe gegenüber dem Beschuldigten, der Einspruch eingelegt hat und danach gegen das Einspruchsurteil Berufung einlegte, nicht verschlimmert werden kann, auch wenn die Staatsanwaltschaft ebenfalls gegen dieses Einspruchsurteil Berufung eingelegt hat.

Der Kassationshof entschied jedoch, dass, um die Schwere der Strafe zu beurteilen, man zunächst die Gefängnisstrafen vergleichen muss und, wenn die Gefängnisstrafe milder ist, ist das Urteil automatisch milder, egal was mit den anderen Strafen geschieht (Kass., 19/02/2020, P. 19.1247.f).

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