Anpassung der Prozedur vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Am 1. August 2021 tritt das 15. Protokoll zur Abänderung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) in Kraft.

In diesem Zusammenhang wird die Frist, um eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einzureichen, ab dem 1. Februar 2022 von sechs Monaten auf vier Monate ab der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung verringert.

In die Präambel der EMRK wurde der Grundsatz der Subsidiarität aufgenommen, wonach es in erster Linie Aufgabe der Staaten ist, die Achtung der in der EMRK und den Zusatzprotokollen bestimmten Rechte und Freiheiten zu gewährleisten. Es wurde auch präzisiert, dass sie dabei über einen (gewissen) Ermessensspielraum verfügen, dessen Ausübung durch den EGMR geprüft werden kann.

Eine Beschwerde beim EGMR muss gut vorbereitet werden: So müssen die innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft werden, d.h. dass in der Regel zunächst die innerstaatlichen Klagemöglichkeiten in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen durchlaufen werden müssen, bevor der EGMR mit einem Problem befasst werden darf. Im Rahmen dieser innerstaatlichen Verfahren müssen die angeführten Menschenrechtsverletzungen zumindest im Kern vorgebracht worden sein. Es sind weitere Zulässigkeitsbedingungen zu erfüllen (Opfereigenschaft, Beschwerdeformular, …).

Für Fragen bezüglich der Prozedur vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte können Sie sich an RA Robinet wenden, welcher eine Zusatzausbildung in Menschenrechten befolgt hat.

Anpassung der Prozedur vor dem Staatsrat

Ein Königlicher Erlass vom 26. April 2021 erlaubt es dem Staatsrat in Kürze Angelegenheiten ohne öffentliche Sitzung zu bearbeiten.

Der Staatsrat kann den Parteien vorschlagen, ein Urteil zu fällen, ohne diese zuvor anzuhören.

Nach Erhalt einer entsprechenden Mitteilung verfügen die Parteien über eine Frist von 15 Tagen, um ggf. eine Anhörung zu beantragen.

Wenn eine Partei eine Anhörung beantragt, wird ein Sitzungsdatum festgelegt.

Wenn keine Partei eine Anhörung beantragt, wird die Angelegenheit im Prinzip in Beratung genommen. Selbst wenn keine Partei eine Anhörung beantragt hat, kann der Staatsrat jedoch eine Sitzung vorsehen, wenn ein neues Element eine kontradiktorische Debatte erfordert.

Insofern die Prozeduren vor dem Staatsrat bereits jetzt hauptsächlich schriftliche Verfahren sind, erhofft sich der Normgeber durch diese Maßnahme eine Beschleunigung der Verfahren.

Verfassungsgerichtshof äußert sich zu den verjährungsunterbrechenden Folgen von Nichtigkeitsklagen beim Staatsrat

Art. 2244 des sog. „alten Zivilgesetzbuches“ legt die Fälle fest, in denen die zivilrechtlichen Verjährungsfristen unterbrochen werden.

Eine Unterbrechung der Verjährungsfrist führt dazu, dass, insofern die Verjährung noch nicht eingetreten war, eine neue Verjährungsfrist selber Dauer wie derjenigen der ursprünglichen Frist entsteht. Im Falle einer Ladung vor Gericht läuft diese neue Frist erst ab dem Zeitpunkt, wo die Endentscheidung verkündet wird.

In Artikel 2244 Abs. 3 des alten Zivilgesetzbuches ist vorgesehen, dass eine vor dem Staatsrat gegen einen Verwaltungsakt eingereichte Nichtigkeitsklage, was Klagen auf Wiedergutmachung des durch den Verwaltungsakt verursachten Schadens betrifft, dieselben Wirkungen wie eine Ladung vor Gericht hat.

Dies hat u.a. zur Folge, dass, wenn eine Schadensersatzklage gegen die Behörde, die den Verwaltungsakt verabschiedet hat, noch möglich war, bevor die Klage vor dem Staatsrat eingereicht wurde (was in der Regel der Fall ist) und der Staatsrat den Verwaltungsakt für nichtig erklärt, ab dem Tag, an dem der Staatsrat sein Urteil verkündet, eine neue Verjährungsfrist läuft, um eine Klage auf Schadensersatz wegen des für nichtig erklärten Verwaltungsaktes einreichen zu können.

Der Verfassungsgerichtshof hat nun klargestellt, dass, in einem solchen Fall, nicht nur die Antragsteller vor dem Staatsrat von der verjährungsunterbrechenden Wirkung profitieren können, sondern auch Personen, welche die Folgen einer solchen Nichtigkeitserklärung erleiden (VGH, Entscheid Nr. 21/2021 vom 11. Februar 2021).

Die Verwaltungsgerichtsbarkeiten müssen in ihren Entscheidungen dem Bürger mitteilen, dass ein Kassationsrekurs gegen ihre Entscheidung möglich ist und innerhalb welcher Frist er eingeleitet werden muss!

Wenn eine Person eine Verwaltungsentscheidung einer Behörde erhält, muss diese Verwaltungsentscheidung die Rechtsmittelmöglichkeiten und die Rechtsmittelfrist aufführen.  Tut sie dies nicht, sieht Artikel 19 der koordinierten Gesetze bezüglich des Staatsrates vor, dass die Rechtsmittelfrist nicht ab der Notifizierung der Entscheidung läuft, sondern erst nach Ablauf von 4 Monaten ab der Notifizierung der Verwaltungsentscheidung.

Der Staatsrat ist zuständig, um über Kassationsrekurse gegen Entscheidungen von Verwaltungsgerichten zu befinden.  Dieser Kassationsrekurs muss innerhalb einer gewissen Frist eingeleitet werden.  Das Gesetz sieht nicht vor, dass das Verwaltungsgericht, dessen Entscheidung vor dem Staatsrat angefochten werden kann, mitteilen muss, dass ein Kassationsrekurs gegen die Entscheidung möglich ist und innerhalb welcher Frist dieser Rekurs eingereicht werden muss.

Der Verfassungsgerichtshof ist der Ansicht, dass diese Situation gegen das Gleichheitsgebot verstößt.  Er entschied, dass, solange der Gesetzgeber nicht interveniert, per Analogie, die Bestimmung Anwendung finden muss, welche für Verwaltungsentscheidungen gilt, d.h. Artikel 19, Absatz 1 und 2 des koordinierten Gesetzes bezüglich des Staatsrates.

Anders ausgedrückt, haben die Verwaltungsgerichte nun die Verpflichtung aufzuzeigen, dass ein Kassationsrekurs eingereicht werden kann und innerhalb welcher Frist er eingereicht werden muss und, tun sie dies nicht, läuft diese Frist erst nach Ablauf einer Frist von 4 Monaten ab der ordnungsgemäßen Übermittlung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (VGH 16/07/2020, Nr. 107/2020).

COVID-19: Vorübergehende Anpassung der Prozedur beim Staatsrat (Aufschiebung von Fristen und schriftliches Verfahren).

Im Rahmen der Coronamaßnahmen wurde die Funktionsweise der Gerichte vorübergehend angepasst. Durch den Sonderbefugniserlass Nr. 12 vom 21. April 2020 wurde auch die Prozedur der Verwaltungsstreitsachenabteilung des Staatsrates angepasst.

Alle Fristen für die Einleitung eines Verfahrens (insbesondere Nichtigkeitsklagen) vor dem Staatsrat sowie alle Fristen, die im Rahmen der Bearbeitung einer Klage durch den Staatsrat (Hinterlegung von Schriftsätzen, …) einzuhalten sind, die zwischen dem 9. April und 3. Mai 2020 ausliefen, wurden automatisch bis zum 2. Juni 2020 verlängert.

Logischerweise gilt diese Fristverlängerung nicht für Eilverfahren (Aussetzungsklagen in äußerster Dringlichkeit). Solche Anträge werden weiterhin bearbeitet, können jedoch vorläufig ohne öffentliche Sitzung durch den Staatsrat in Beratung genommen werden, vorausgesetzt alle Parteien sowie der Auditor konnten schriftlich ihre Anmerkungen vorbringen. Eine Anhörung via Videokonferenz ist jedoch ebenfalls möglich.

Auch die „gewöhnlichen“ Verfahren vor dem Staatsrat (Nichtigkeitsklagen, Anträge auf Entschädigung) können, mittels Einverständnis aller Parteien, ohne öffentliche Sitzung durch den Staatsrat bearbeitet werden.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass die Fristen zwecks Einreichung und Bearbeitung von Klagen (mit Ausnahme der Klagen in äußerster Dringlichkeit) beim Staatsrat teilweise vorläufig verlängert wurden und vorläufig ein schriftliches Verfahren (ohne öffentliche Sitzung) Anwendung findet.

Wenn Sie sich die Frage stellen, ob Sie von dieser Fristverlängerung profitieren können, können Sie Kontakt mit unserer Kanzlei aufnehmen.

 

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